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Das „Du“ oder „Sie“ und die Unternehmenskultur
Dresden, 2. Oktober 2025 | (ks)
Bereichsbesprechung Marketing. In einem großen Raum sind alle Ohren auf Empfang gestellt. Es folgt eine offene Frage-Antwort-Runde mit unserer Vorstandsvorsitzenden Stefanie Schlick. Jeder darf alles fragen. Dann kam diese Frage: „Ist eine Siez-Kultur für Sie noch zeitgemäß?”
Die Antwort, ruhig und bestimmt: Ob „Du“ oder „Sie“ sage nichts über die Qualität der Unternehmenskultur aus. Entscheidend seien Respekt, Wertschätzung und ein gutes Miteinander. Und manche Menschen fühlen sich einfach wohler, wenn sie gesiezt werden. Ein klares und gut vorgetragenes Statement, das hängenblieb. Denn es bringt auf den Punkt, worum es wirklich geht: nicht um ein Wort, sondern um Haltung.
Braucht es in einer Arbeitswelt, die sich rasant verändert, wirklich eine Duz-Kultur für ein gutes Arbeitsklima? Das Spektrum an Meinungen dazu ist vielfältig.
Löst das „Du“ das „Sie“ ab?

Und doch ist das „Sie” nicht verschwunden. Noch bleibt es Teil der Arbeitskultur, meist als Mischform. Mit einigen Kollegen per Du, während die Führungsebene mit Sie angesprochen wird. Insbesondere dort, wo Tradition, Seriosität oder formelle Distanz gefragt und gewollt sind. Einem Wir-Gefühl muss das nicht entgegenstehen.
Wenn gar das lockere „Du“ „par ordre du mufti“ verordnet wird, mag sich mancher Mitarbeiter veralbert fühlen. Das wäre dann der Fall, wenn Hierarchien und Säulendenken der vermeintlichen Lässigkeit ein Korsett überstülpen. Das heißt: Eine Duz-Kultur allein macht noch keinen Kulturwandel und baut nicht automatisch ein Machtgefüge ab.
Warum nicht einfach so locker wie im Englischen?
Mit der Globalisierung kam Englisch als Verhandlungs-Sprache in viele Unternehmen. Im Englischen gibt es kein formelles Du oder Sie. Alle sind „you“. Trotzdem existieren Abstufungen, subtil, aber wirkungsvoll. Ein „Dear Mr. Smith“ mit „Yours sincerely“ klingt deutlich distanzierter als ein „Hi John“ mit „Cheers“.
Pro und Contra, was spricht für Duzen, was für Siezen?
Pro Duzen:
- fördert Nähe und Miteinander
- senkt Hemmschwellen, auch beim Austausch mit Vorgesetzten
- passt in eine Welt, in der Hierarchien flacher werden
Contra Duzen:
- kann Verbindlichkeit verwischen
- wirkt auf manche Menschen zu privat
- lässt sich schwer zurücknehmen, wenn es einmal eingeführt ist
Pro Siezen:
- schafft Klarheit und Distanz, wo sie gebraucht wird
- erleichtert den respektvollen Umgang mit Unbekannten
- viele fühlen sich im Sie sicherer, gerade im beruflichen Kontext
Contra Siezen:
- kann steif wirken
- baut unnötige Hürden im Austausch auf
- vermittelt manchmal mehr Distanz, als tatsächlich vorhanden ist
Ist Nahbarkeit nur eine Frage des „Du“?
Ganz sicher nicht. Wer glaubt, dass Nähe allein durch Sprache entsteht, irrt. Ein Chef, der sein Team wertschätzt, Feedback gibt und zuhört, schafft Nähe. Egal, ob er das Team duzt oder siezt. Und Kollegen, die sich duzen, aber einander nicht zuhören, bauen keine Brücken.
Ein Vorstand, der sich für nichts zu schade ist, ist nahbar. So grillt er beispielsweise höchstpersönlich für alle Mitarbeitenden in der Weihnachtszeit und schenkt Glühwein aus – irgendwo zwischen Vorstandssitzung und Strategieplänen. „Lassen Sie es sich schmecken” ist genauso gut wie „Lass es dir schmecken”.


Beim agilen Arbeiten ist das „Du“ fast schon selbstverständlich
Die Arbeitswelt verändert sich. Besonders im agilen Arbeiten – ob Scrum, Design Thinking oder in Innovations-Workshops – greift fast automatisch das „Du“. Warum? Weil die Teams dort bewusst als familiäres, vertrauensvolles Gefüge aufgebaut werden. Jeder soll Ideen einbringen, auch die unausgereiften. Die Distanz des „Sie“ könnte da wie eine unsichtbare Barriere wirken. Das „Du“ schafft dagegen ein Klima, in dem Experimente erlaubt sind und Hierarchien in den Hintergrund treten.
Ist Siezen oder Duzen eine Generationenfrage?
Viele behaupten, dass junge Leute lieber duzen, während ältere Menschen lieber siezen. Stimmt das? Ja und nein. Die Jüngeren sind mit Social Media, Gaming und Chats groß geworden, überall per Du, weltweit. Für sie ist das „Sie” oft ein Fremdkörper. Sie finden ein durchgehendes Du im Arbeitsleben einfacher. Sie wollen nicht überlegen müssen, wen sie siezen und mit wem sie schon per Du waren. Eine junge Kollegin bringt es auf den Punkt: „Das fühlt sich so umständlich an wie Yoga mit ungelenken Beinen.“

Doch auch viele Ältere haben längst Gefallen am unkomplizierten „Du“ gefunden. Andere wiederum halten bewusst Abstand, weil ihnen das „Sie“ Orientierung gibt. Vielleicht liegt die Wahrheit weniger im Alter als im Typ Mensch.
Eine Zwischenlösung ist das Hamburger „Sie”
Eine charmante Variante, die besonders im Norden beliebt ist, das Hamburger Sie. Vorname plus „Sie”. Es verbindet professionelle Distanz mit herzlicher Nähe. Und eignet sich daher als rhetorischer Kompromiss für all jene, die den Übergang zum „Du” nicht mögen.
Vom „Sie“ zum „Du“ – wie geht es richtig?
Karriere.de weist auf die „Gesetze” der Ansprache im Geschäftsleben hin. Diese Regeln des Business-Knigge gelten immer noch:
- Geschlecht
Die Dame sagt zum Herrn: „Wollen wir nicht du sagen?” - Alter
Der Senior bietet dem Junior das „Du“ an, nicht umgekehrt. - Rang/Hierarchiestufe
Der Ranghöhere bestimmt die Anredeform.
Heißt: Die Führungskraft bietet dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin das „Du“ an. - Dienstalter
In gleichrangigen Teams spielt das Dienstalter eine wichtige Rolle. Heißt, wer bereits länger im Unternehmen tätig ist, bietet neuen Kollegen/Kolleginnen das „Du“ an.
Unternehmenskultur ist mehr als nur Worte

Ob man das in einem Unternehmen mit „Sie” oder „Du” ausdrückt, ist dabei nebensächlich. Beides ist möglich. Entscheidend ist, dass es passt, zum Unternehmen, zu den Menschen und zur Haltung.
Vielleicht ist es genau das, was unsere Unternehmenskultur letztlich ausmacht: dass wir beide Möglichkeiten zulassen. Das „Du“ dort, wo Nähe entsteht. Das „Sie“ dort, wo es Sicherheit gibt. Und dass wir nicht die Form der Ansprache zum Maßstab machen, sondern den Umgang miteinander. Und das über Hierarchiestufen hinweg.
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